Blitzer LEIVTEC XV3 schneller als erlaubt – Autofahrer aufgepasst!

Das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) hat in einer interessanten Entscheidung am 16.03.2021 ein Bußgeldverfahren wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes eingestellt, weil das Messgerät LEIVTEC XV3 offenbar nicht korrekt funktioniert hat.

Oder anders gesagt: Nicht der Autofahrer war zu schnell, sondern das Messgerät.

Im Leitsatz der o.g. Entscheidung (2 Ss (OWi) 67/21) heisst es dazu:

1. Beim Messgerät Leivtec XV 3 ist messtechnisch die Richtigkeit des ermittelten Geschwindigkeitswertes zumindest in den Fällen nicht garantiert, in denen das sog. Messung-Start-Foto die in der am 14. Dezember 2020 geänderten Gebrauchsanweisung genannten Anforderungen schon nicht erfüllt.
2. Ob auch Messungen, bei denen diese Anforderungen erfüllt werden, fehlerbehaftet sein können, kann hier dahinstehen.

Worum geht es?

Beim Messsystem Leivtec XV3 handelt es sich um ein verbreitetes Lasermessverfahren, das zum Beispiel von Polizei und kommunalen Behörden im Rahmen der Verkehrsüberwachung bundesweit eingesetzt wird.

Im Sommer 2020 haben Sachverständige das Messgerät in einer aufwendigen Versuchsreihe auf Messfehler überprüft und dabei erhebliche  relevante Messfehler festgestellt.

Dabei wurde mittels Vergleichsmessungen mit mehreren Messanlagen vom Typ Leivtec XV3 gleichzeitig sowie Kontrollmessungen  durch zeitgleichen Einsatz eines Leivtec XV3-Messgeräts sowie eines ESO 8.0-Messgeräts durchgeführt.

Dabei kam es zu massiven Abweichungen beim Messergebnis, bei der die Grenzen der Messfehlertoleranz des Messgerätes überschritten wurden. So hatte das ESO 8.0 bei einer Messung eine (zutreffende) Geschwindigkeit von 95 km/h ermittelt, während das Leivtec XV3 aber einen Wert von 103 km/h ausgewiesen hat.

In einer weiteren Versuchsanordnung wurden zwei Leivtec XV3 nebeneinander aufgestellt, allerdings unterschiedlich ausgerichtet. Auf diese Weise wollten die Sachverständigen den Einfluss unterschiedlicher Geräteeinrichtungen auf das Messergebnis untersuchen. Auch dabei kam es zu erheblichen nicht mehr akzeptablen Abweichungen: Bei einer Referenzgeschwindigkeit von 131 km/h kam es zu einer Abweichung von 16 km/h bei einer Verkehrsfehlergrenze von +/- 4 km/h. Ein Messgerät hatte 125 km/h „gemessen“, das andere 141 km/h.

Auf der Internetseite des Instituts für Qualitätssicherung in der Verkehrsmesstechnik e.V. ist die Versuchsanordnung beschrieben, mehr hier:

Die Sachverständigen fassen das Ergebnis wie folgt zusammen:

„Nach hiesiger Bewertung ist es anhand unterschiedlicher Messanlagen des betroffenen Typs Leivtec XV3, sowie unterschiedlicher Referenzanlagen nach ca. 900 Versuchsfahrten erwiesen, dass es im aktuellen technischen Stand der Anlage zu zahlenmäßig relevanten unzulässigen Messabweichungen kommen kann, weshalb wir die Beteiligten bitten, aktuell ein besonderes Augenmerk und Umsicht bei der Bearbeitung von Verfahren und beim Einsatz der Messanlage XV3 walten zu lassen, da die Prüfung seitens der PTB und des Herstellers noch unbestimmt andauert.
Für den zukünftigen Einsatz der Messanlage XV3 sollte mit Bezug auf die forensische Prüfbarkeit auf die Qualität der Fertigung des Start- und Endebildes geachtet werden. Die Messanlage sollte zudem aus unserer Sicht ausschließlich derart eingesetzt werden, dass die Fahrzeuge im gesamten messrelevanten Bereich (50 m bis 30 m vor dem Gerät) vollständig in beiden Bildern abgelichtet sind.“

Zwar hat der Hersteller zwischenzeitlich die  die Bedienungsanleitung des Messgerätes geändert. Das hat aber nicht den gewünschten Erfolg gehabt, wie sich aus der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 16.03.2021 zeigt.

Was bedeutet das für Betroffene?

Es geht bei diesen Verfahren stets um die Frage, ob es sich bei dem angewandten Messverfahren um ein sog. „standardisiertes Messverfahren“ handelt. Ist das der Fall, muss der Betroffene etwaige Fehler bei der Durchführung der Messung konkret darlegen und beweisen. Das ist schwierig, und aufwendig. In diesem Fall war die Überprüfung offenbar erfolgreich und es haben sich Fehler des Gerätes herausgestellt.

Mandanten fragen in diesen Fällen immer: „Macht ein Einspruch überhaupt Sinn und „lohnt“ sich das?“ Diese Frage kann man als Verteidiger in Bussgeldsachen nie pauschal beantworten, weil es stets auf den konkreten Einzelfall ankommt. Außerdem werden die Geräte von Zeit zu Zeit überarbeitet mit der Folge, dass plötzlich Fehler auftreten, die vorher nicht vorlagen, jedenfalls nicht aufgefallen sind.

Deshalb lautet der Rat an Betroffene immer, ggfs. Einspruch einzulegen bzw. die Sache umgehend rechtlich prüfen zu lassen. Eine Beurteilung des Einzelfalls ist erst möglich, wenn die Verfahrensakte vorliegt. Dazu müssen Verteidiger bei der zuständigen Bussgeldstelle Akteneinsicht beantragen. Das können Betroffene nicht selbst. Zu beachten ist außerdem, dass ein Einspruch innerhalb einer Frist von 2 Wochen eingelegt werden muss, und zwar schriftlich – eine e-Mail ist nicht ausreichend!

Das OLG hat in dem o.g. Fall ausgeführt:

„Es kann somit derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass auch bei Einhaltung der Vorgaben der geänderten Gebrauchsanweisung in Einzelfällen unzulässige Messwertabweichungen vorkommen – nach einer Mitteilung der PTB vom 13.3.2021 hat der Hersteller des Gerätes seinen Kunden […] geraten, amtliche Messungen mit dem Gerät vorerst auszusetzen – bzw. vorgekommen sind. Andererseits versteht der Einzelrichter die vorgenannte Veröffentlichung so, dass die weiteren Versuche wohl zumindest dann keine Anhaltspunkte für Fehlmessungen geliefert haben, wenn das Fahrzeugkennzeichen vollständig im Auswerterahmen des Messung-Start-Bildes abgebildet ist.

Es ist aber jedenfalls so, dass dann, wenn das Messung-Start-Bild die neuen Anforderungen an die Abbildung des Kennzeichens nicht erfüllt, die Beweisbilder nicht verwertbar sind (vergleiche die Formulierung der geänderten Gebrauchsanweisung).“

Aus diesen Gründen war der Vorwurf gegen den Betroffenen nach Ansicht des OLG nicht haltbar und das Verfahren einzustellen.

Wichtig ist jetzt folgendes:

Wurden Sie auch geblitzt?

Wenn Sie einen Bussgeldbescheid erhalten haben und die Zweiwochenfrist ab Zustellung für den Einspruch bereits abgelaufen ist, kommt ein Antrag auf Wiederaufnahme des Bußgeldverfahrens gemäß § 85 OWiG in Betracht. Daher sollten sich Betroffene umgehend anwaltlich beraten lassen, um die nötigen Schritte einzuleiten.

Für alle anderen gilt: Unbedingt Einspruch gegen den Bussgeldbescheid einlegen!

Musch und Delank berät Sie gern.

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